Kluis, Rock Het Bejaardentehuis

Wir haben gestern was getan, was eher untypisch für uns ist. Haben spontan entschieden, uns abends aufs Moped zu schwingen und durch die halbe Stadt nach Wilmersdorf in die „Bar Jeder Vernunft“ zu fahren. Das hieß auch, erst lange nach dem großen Zapfenstreich ins kuschlige Heierbettchen zu kommen. Die bessere Hälfte wollte aber so gern und da ich keinen eigenen Willen habe sie so sehr liebe… Die Anreise war empfindlich kühl. (Und die Heimfahrt erst.) Sind relativ knapp losgefahren. Der Veranstaltungsort, den wir beide nicht kannten, war gut versteckt und dann noch die Abendkasse finden. Das war schon fast zu viel der Aufregung. Die Karten waren dann auch gar nicht mal soo günstig.

Aber hey, wir fühlten uns angesichts des bereits vor Ort befindlichen Publikums fast wieder jung und saßen dennoch altersgerecht am Tisch. Die Frau hat sich ’ne Moskauer Mühle gegeben und DJ Vollrausch? Genau, schwarzen Tee mit Zitrone, um erstmal irgendwie auf Betriebstemperatur zu kommen. Nach der Pause hatte die Frau dann auch ein dampfendes Teechen vor sich stehen. Getränke mit Eiswürfeln wärmen Dich eben nicht wirklich.

Klaus Hoffmann

Eigentlich hab ich mit Herrn Hoffmann nicht viel am Hut. Für mich war das Schlager und damit nicht das, was ich gern gehört hab. Damals im Osten waren aber Bekannte von mir große Fans, hatten alle Platten und mit ein paar Liedern konnte ich mich dann auch anfreunden (Junge Hunde, SO36, Über den Wolken^^). Allerdings war mir Jaques Brel lieber. Den hab ich wenigstens nicht verstanden.

Hätte ich den folgenden Appetitanreger vorher gesehen, hätten mich keine 10 Pferde in das Lokal in Wilmersdorf geschleppt. Wobei ich glaube, die Frau hat 12PS.

Aber es wurde ein schöner und lustiger Abend. Der Herr Hoffmann ist ziemlich böse zu seinem in der Masse gerondigem Publikum, und das auf die charmanteste und selbstironische Art. Die Musik ist heute viel leichter für mich zu ertragen, gefällt mir häufig sogar. Dass mir die Botschaften der Titel oft zu unkritisch, stromlinienförmig, angepasst oder voll triefendem Pathos sind, hat der Mann mit seinen schauspielerischen Qualitäten bei den Liedern und in den Moderationslücken mehr als wett gemacht. Man wird ja wohl auch kaum ein BVK bekommen, wenn man unangepasst ist. Falls es doch mal passiert, könnte das Ding auch wieder zurückgegeben werden. Als jemand, dem so ein Blech eh nie angetragen wird, hat man natürlich leicht reden.

Ein paar Sachen hab ich nicht verstanden und konnte sie auch nicht nachrecherchieren.

  • Sein supernetter, weißrussischer Pianist Nikolai Orloff ist seit wann dabei? Er hatte den Austausch seines alten Begleiter Hawo Bleich nur mit ein paar lustigen Bemerkungen kommentiert. Dieser hatte immerhin 40 Jahre bei den Auftritten für Hoffmann geklimpert.
  • War das jetzt sein letztes Konzert in Berlin für immer, oder nur für die Flügel-Tour?
  • Hat er als Jugendlicher in Kaulsdorf gelebt und ist vor dem Mauerbau wieder zurück in den Westen?

Alles wahnsinnig wichtige Fragen über Fragen. Nächstes Mal stehe ich hoffentlich auf der Gästeliste und bekomme ein Interview.

Der Klaus kannte ’nen Ostbullen aus einem Stasi-Stall. Ja, nee, is klar.

Was ich total gut fand, war, dass Hoffmann bei „Wenn Ich’s hier schaff“ die seltsame Stasi-Strophe weggelassen hat. Allgemein haben mich als Pflanzenfresser die Essgeschichten unangenehm berührt, aber daran bin ich gewöhnt. Amsterdam war nicht so kraftvoll wie man es kennt, aber viel kraftvoller, als man es von einem 74jährigen erwarten darf. Insgesamt ist die Stimme wirklich erstaunlich jung geblieben. Am Ende des Tages waren wir jedenfalls happy, und was man so mitbekam, der Rest des Zeltes auch.

Am Tisch mit uns saß eine Dame mit ihrem schwerstbehinderten Schwager im Rollstuhl. Wir kamen in der Pause kurz ins Gespräch. Sie erzählte, dass sie mit ihrer Mutter 1978 im Staatstheater in Karlsruhe das erste und ich meine auch bis dato das einzige Mal den Klaus gesehen hatte. Und sie nahm darauf Bezug, dass Hoffmann, wie er als running gag selbst immer mal einflocht, so verdammt gut aussah. Sie jedenfalls war noch immer von Klaus Hoffmann angetan. Ihr eigener Mann wäre nie mitgekommen zu dem Konzert, so verriet sie uns. Vielleicht deshalb.

Klausi weiß, was sich gehört. Er kann ein Lied aus „voller Seele“ bringen. Der Kontext macht’s. Hier bei den Open Classics 2019 in Berlin.

Mitfilmen während der Vorführung gestern war nicht erlaubt. Aber wäre ich Programmdirektor meiner eigenen Radiostation geworden, wenn ich mich an Regeln und Gesetze hielte? Das wäre ja so, als könne man durch ehrliche Arbeit reich werden. Und Glück gehabt. Am Ende, als mir langsam warm wurde und ich mich entschloss, den Outlaw zu geben, kam gerade in dem Moment, in dem ich die Handywanze gezückt hatte, derselbe Mond ganz anders.

Kluis, Rock Het Bejaardentehuis – vorletztes Lied – Mitsingen und Schunkeln

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